Herr Dahmen, lassen Sie uns mit einer guten Nachricht starten: SMS group hat gerade einen Vertrag mit H2 Green Steel in Schweden über die Lieferung eines kompletten Stahlwerks unterzeichnet. Was ist so einzigartig an diesem Greenfield-Projekt?

Burkhard Dahmen: H2 Green Steel wird das erste klimaneutrale Stahlwerk der Welt bauen. Und wir liefern die gesamte Anlagentechnik von der Eisenerzeugung bis zu den fertigen Produkten. Die Direktreduktionsanlage wird die erste kommerzielle Anlage der Welt sein, die zu 100 Prozent mit Wasserstoff betrieben wird. Und da entlang der gesamten Prozesskette fast vollständig auf fossile Brennstoffe wie Kohle oder Erdgas verzichtet wird, wird H2 Green Steel die CO₂-Emissionen im Vergleich zu konventionellen Stahlwerken um bis zu 95 Prozent reduzieren. Dieses Projekt zeigt die klimaneutrale Zukunft der Stahlerzeugung und wir beweisen, dass dies im industriellen Maßstab möglich ist - schon Mitte dieses Jahrzehnts!

Das erste klimaneutrale Stahlwerk der Welt wird mit SMS group-Technologie in Boden in Nordschweden gebaut.

Heißt das, dass die Stahlindustrie schnell ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten kann?

Burkhard Dahmen: Ja und nein. Es ist richtig, dass die Lösungen zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie für die Implementierung bereit stehen. Aber Greenfield-Projekte wie H2 Green Steel sind im Moment die Ausnahme. Die meisten unserer Kunden beginnen damit, ihre bestehenden Anlagen zu modernisieren. Unsere Technologien bieten auch hier die Möglichkeit zu "Quick Wins" in großem Maßstab. Wir können hauptsächlich durch das Einblasen von Wasserstoff oder heißen Synthesegasen den Kohlenstoff-Fußabdruck eines bestehenden Hochofens um etwa 30 Prozent reduzieren.

Unsere Metallurgen in Luxemburg arbeitet derzeit an einem neuen Ofen mit einem CO2-Einsparpotenzial von bis zu 70 Prozent. In Kombination mit Carbon Capture erreichen wir damit Klimaneutralität. Wenn alles wie geplant verläuft, wird diese neue Technologie wesentlich zur Dekarbonisierung der bestehenden Stahlwerke beitragen.

Natürlich steht die Eisenerzeugung im Fokus der Kunden, denn 80 Prozent der Treibhausgasemissionen entstehen in dieser Phase. Aber wir haben auch die Lösungen für die nachgelagerten Prozesse von der Stahlerzeugung bis zum Endprodukt. Nehmen Sie unsere digitalen Lösungen wie die Plattform Viridis: Das ist eine umfassende Energiemanagementlösung, die die Energieeffizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette optimiert und gleichzeitig die energiebezogenen Kosten, den Rohstoffverbrauch und schließlich die Kohlenstoff-, Treibhausgas- und andere Emissionen reduziert.

Wir übernehmen beim Umbau der Metallindustrien eine führende Rolle. Lassen Sie uns Metalle grün machen, um das Klima zu retten.

Hat die SMS group damit die Herausforderung einer nachhaltigen Metallindustrie angenommen?

Burkhard Dahmen: Ja, unsere Mission lautet #turningmetalsgreen. Wir übernehmen beim Umbau der Metallindustrien eine führende Rolle und sind dafür gleich in mehrfacher Hinsicht einzigartig aufgestellt. In erster Linie entwickeln wir die Lösungen, die unsere Kunden, zum Beispiel Stahlhersteller, brauchen, um ihre Arbeit gut zu machen - das heißt Metalle zu produzieren, die die Gesellschaft braucht, aber mit minimaler Umweltbelastung. Die Stahlproduzenten können nur so gut sein wie die Lösungen, die wir für sie entwickeln - und dabei zählen sie auf uns. Das bedeutet, dass wir hier eine große Verantwortung tragen.

Diese führende Rolle ist auch das Ergebnis unserer Geschichte - in 150 Jahren haben wir kontinuierlich ein umfassendes metallurgisches Know-how aufgebaut und verfügen über ein einzigartiges Netzwerk an Unternehmen innerhalb aber auch außerhalb der SMS group. Kein anderes Unternehmen kann wie wir die gesamten klimaneutralen Prozesse aus einer Hand liefern. Das geschieht in zwei Bereichen: Die Dekarbonisierung der Metallproduktion basiert langfristig auf grünem Strom und grünem Wasserstoff. Und wir sind ein wichtiger Player im Bereich der Circular Economy - wir entwickeln und optimieren Technologien, um wertvolle Metalle wieder in den Kreislauf zu bringen.

Das Recycling von Metallen ist nichts Neues. Worin besteht hier der Fortschritt?

Burkhard Dahmen: Sie haben Recht. Jeder weiß, dass Metalle perfekt für eine Kreislaufwirtschaft geeignet sind. Nehmen Sie zum Beispiel Aluminium: Recycling senkt die CO2-Emissionen im Vergleich zur Primärproduktion um mehr als 90 Prozent. Unser Ziel ist es, Recyclingquoten bis an die Grenzen des technologisch Machbaren zu verschieben - bei Stahl, bei Aluminium, aber vor allem bei Kupfer und allen anderen Nichteisenmetallen, die bei den Schlüsseltechnologien der Zukunft eine große Rolle spielen. 

Aber das ist bei weitem nicht der einzige Vorteil. Recycling trägt wesentlich zur Schonung der Ressourcen der Erde bei und macht gerade rohstoffarme Länder unabhängiger von Lieferketten.

Wir setzen unser metallurgisches Know-how auch dafür ein, um darüber hinaus weitere Metalle in den Kreislauf zurückzubringen. Ein wichtiger Bereich, in dem wir das tun, sind Batterien. Deshalb haben wir das Joint Venture Primobius gegründet, um Recyclingtechnologien zur Rückgewinnung von Lithium, Nickel, Kobalt und anderen Metalle aus Unterhaltungselektronik sowie Lithium-Ionen-Batterien aus Elektrofahrzeugen zu vermarkten. Damit legen wir den Grundstein für hochreine Rohstoffe als Ausgangspunkt für neue Hightech-Produkte.

Primobius ist eine umweltfreundliche Recyclinglösung für ausgediente Lithium-Ionen-Batterien (LIB).

Letzte Frage: Wie sind die Aussichten für die SMS group und den Anlagenbau allgemein?

Burkhard Dahmen: Der Umbau der Metallindustrien ist ein Generationenprojekt und bedeutet viel Arbeit für den Anlagenbau. Eine einfache Rechnung macht das deutlich: Um die internationalen Klimaziele bis 2050 zu erreichen, müssen jedes Jahr rund 35 Millionen Tonnen Rohstahlkapazität "grün" werden. Das entspricht etwa neun integrierten Stahlwerken, die jedes Jahr durch moderne Anlagen ersetzt werden müssen! Zurzeit bauen wir intern die Ressourcen auf und richten die Kapazitäten an diesem Bedarf aus. Dazu gehören natürlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich kann nur sagen, dass der Anlagenbau für Menschen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, genau der richtige Ort ist. Lassen Sie uns Metalle grün machen, um das Klima zu retten.