Im Sommer 1989 schreiben SMS und Nucor am Rand der amerikanischen Kleinstadt Crawfordsville inmitten von Maisfeldern Geschichte: Sie nehmen gemeinsam die erste Dünnbrammen-Gießwalzanlage in Betrieb. Die neu entwickelte trichterförmige Kupfer-Kokille und der optimierte Tauchausguss machen das „endabmessungsnahe Gießen von Brammen“ möglich. Die nur 50 mm dicken Brammen laufen durch einen kurzen Tunnelofen bevor sie in einer Fertigstraße direkt auf die Endabmessungen ausgewalzt werden. Das energieintensive Wiedererwärmen der Brammen und das Vorwalzen entfallen. Der Name der neuen Technologie: Compact Strip Production, kurz CSP®.

Der „Geistesblitz“ des Erfinders liegt damals schon sechs Jahre zurück. Doch bis zur Marktreife ist es noch ein weiter Weg. Unter größter Geheimhaltung baut SMS 1985 in der eigenen Gießerei in Kreuztal eine Versuchsanlage und testet das Verfahren. Doch genauso schwierig ist es, den ersten Kunden für das revolutionäre Anlagenkonzept zu finden. Nachdem alle etablierten Stahlhersteller abwinken, geht das US-Unternehmen Nucor das das Wagnis ein. Und der Mut zahlt sich aus: Trotz eines stagnierenden US-Stahlmarkts ist das Werk dank der niedrigen Herstellkosten von Anfang an profitabel.

Mit jeder neuen CSP®-Anlage entwickeln wir die Technologie weiter. Bald schon produzieren CSP®-Kunden Bänder für die Automobilindustrie, hochfeste Güten oder Röhrenstähle. Gleichzeitig erweitern wir das Produktspektrum in Richtung von ultradünnem (bis 0,8 mm) und dickem Band (bis 25,4 mm). Die neueste Stufe der Entwicklung ist CSP® Nexus mit einer noch höheren Produktivität, noch mehr Flexibilität – und der Möglichkeit Warmband CO2-neutral herzustellen.   

CSP® Versuchsanlage in der SMS-Gießerei in Kreuztal.
Nach erfolgreichen Tests.
CSP - Compact strip production
Der Durchbruch: Die erste CSP®-Anlage bei Nucor Crawfordsville (1989)
Teamwork ist alles. Inbetriebnahme der CSP®-Anlage bei ACME, USA (heuteCleveland Cliffs)
Maanshan Iron & Steel: Eine von sieben CSP®- Anlagen in China und die erste Anlage mit Semi-endlos-Technologie.
Zehn Jahre nach der ersten CSP®-Anlage setzten auch etablierte Stahlhersteller wie ThyssenKrupp Steel auf CSP®.
Schon sehr früh lieferten wir CSP® Anlagen mit unserer X-Pact® Elektrik und Automation.
CSP® Nexus - die neueste Stufe der Entwicklung

Concast steht für Continuous Casting

Die CSP®-Technologie wäre nicht denkbar gewesen ohne die vorherige Entwicklung des Stranggießens – eine weitere Erfindung aus der SMS-Familie. Die erste industrielle Stranggießanlage für Stahl mit oszillierender Kokille entwickelt der US-Amerikaner Irving Rossi in den 1950er Jahren. Das kontinuierliche Vergießen von Stahl zu Brammen oder Knüppeln bringt gegenüber dem bis dahin üblichen „portionsweisen“ Abgießen in Dauerformen erhebliche Produktivitäts- und Qualitätsgewinne. Sie beschränken sich nicht nur auf das Gießen selbst, sondern auch auf das Warmwalzen, da die bis dahin üblichen vorgeschalteten Block- und Halbzeug-Walzwerke wegfallen.

1954 gründet Rossi in Zürich in der Schweiz die Concast AG, die Kurzform für „Continuous Casting“. Schon 1956 unterzeichnen Concast und Schloemann ein Kooperationsabkommen. 1969 übernimmt das Düsseldorfer Unternehmen die Mehrheit an der Concast. Als Pionier in diesem Bereich bieten wir bis heute das breiteste Spektrum an Stranggießtechnologie an. Dazu gehören etwa Brammen von 50 bis 500 mm Dicke und mehr sowie etwa Rundblöcke von 1.000 mm Durchmesser.

Irving Rossi, der "Vater" der Stranggießtechnologie und Heinrich Tanner, Geschäftsführer der Concast im Jahr 1961.
Brammen-Stranggießanlage bei August-Thyssen-Hütte (Deutschland), 1969.
Stranggießanlage für Knüppel bei Röchling (Deutschland)
Die Stranggießanlage bei Taewoong (Südkorea) ...
ist für Rundblöcke bis 1.000 mm Durchmesser ausgelegt.
Stranggießanlage für ultrabreite Brammen bei Shandong Iron & Steel Group Co. Ltd., Rizhao
Steuerstand bei Shandong Iron & Steel Group Co. Ltd., Rizhao

Die Nahtlos-Revolution

Das Nahtlos-Rohrs ist bis heute untrennbar mit dem Namen „Mannesmann“ verbunden. 1885 präsentieren die Brüder Reinhard und Max Mannesmann ihre Kombination aus Schräg- und Pilgerwalzen und machen damit die Herstellung nahtloser Rohre möglich. 1923 liefert die Maschinenfabrik Meer ihr erstes Nahtlos-Rohrwalzwerk. Von 1926 bis 1999 ist die „Meer“ Teil des Mannesmann-Konzerns und damit unmittelbar an der Weiterentwicklung und Perfektionierung der Rohrherstellung beteiligt.

2003 bringt SMS die PQF®-Technologie (Premium Quality Finishing) auf den Markt. Sie ist dafür ausgelegt, auch hochwertigste Produkte effizient und zuverlässig zu produzieren, ob hochlegierte Stahlrohre oder besonders dünnwandige Präzisionsrohre. Durch den geringeren Materialeinsatz erzielt sie eine bessere Ausbringung als herkömmliche Lösungen. Durch geringe Wiedererwärmung während des Walzprozesses verkleinert PQF® auch den CO2-Fußabdruck bei der Nahtlosrohrherstellung.

Nahtlose Rohre - bearbeitet auf einem Meer-Schrägwalzwerk, 1935
Vollautomatische Stopfenstraße von Meer zur Herstellung von Stahlrohren aus den 1950er Jahren.
Streckreduzierwalzwerk
Einweihung der ersten PQF® Anlage bei TPCO.
Die erste PQF®-Anlage bei Tianjin Pipe Corporation, China.
PQF® Gerüst, Auslauf.
PQF® Anlage bei Changbao

Steuerstand der PQF® Anlage Changbao

Wie der glockenlose Gichtverschluss die Hochofentechnologie veränderte

Unter den vielen Entwicklungen von Paul Wurth ist besonders der glockenlose Gichtverschluss (Bell Less Top, kurz BLT) hervorzuheben. Er löst Anfang der 1970er Jahre eines der größten Probleme der Stahlindustrie: die Hochöfen sollen größer und produktiver werden, doch das ist mit dem tonnenschweren traditionellen Gichtverschluss nicht möglich. Viele Unternehmen arbeiten daran, aber es sind die klugen Köpfe von Paul Wurth, die letztlich die perfekte Lösung finden: der glockenlose Gichtverschluss. Bei diesem revolutionären Konzept wird das Glockensystem durch eine Drehschurre ersetzt, die eine kontinuierliche Beschickung ermöglicht und den Bedienern die Möglichkeit gibt, das Möllermaterial im Hochofen präzise zu positionieren.

Die erste Installation des Systems im Januar 1972 an Hochofen 4 bei Thyssen in Duisburg-Hamborn überzeugt die Zweifler. Der glockenlose Gichtverschluss hat tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung von Paul Wurth und der gesamten Industrie, denn er ermöglicht weltweit den Bau größerer Hochöfen mit einer ungleich höheren Produktivität. Seit damals wird das System an über 800 Hochöfen in der ganzen Welt installiert. Auch heute ist diese außergewöhnliche Technologie in Kombination mit dem BLTXpert und Condition Monitoring Teil der digitalen Zukunft der Roheisenherstellung. 

Die "Spanische Skizze". Das ursprüngliche Konzept des glockenlosen Gichtverschlusses entwickelt Edouard Legille während eines verregneten Aufenthalts in Spanien.
Paul Wurth testete einen Prototyp des glockenlosen Gichtverschlusses in der eigenen Fertigung.
Modell des glockenlosen Gichtverschluss
Am Sonntag den 9. Januar 1972 ging der erste glockenlose Gichtverschluss am Hochofen 4 der der August-Thyssen-Hütte in Duisburg in Betrieb.
Die Drehschurre ermöglicht die genaue Verteilung des Materials.
50 Jahre nach der Installation des ersten glockenlosen Gichtverschlusses ersetzten wir dort das Getriebe.

Innovation ist Teil unserer DNA

Die Beispiele zeigen: Es gehört zu unserer Unternehmens-DNA, an neuen Technologien zu forschen und gemeinsam mit unseren Kunden immer wieder aufs Neue Geschichte zu schreiben.

Dabei gibt es nicht die eine Quelle für Innovationen. Neben den individuellen Bedürfnissen von Kunden sind es natürlich auch die großen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Trends, die uns inspirieren. Heute gehören zum Beispiel Digitalisierung und Green Metals zu den wichtigsten Treibern. Unsere Mission #turningmetalsgreen ist daher auch die Folge eines Wandels, den die gesamte Metallindustrie im Kampf gegen den Klimawandel aktuell durchläuft. Die Tatsache, dass unsere Kunden nachhaltiger und grüner werden müssen, treibt uns an, innovative Technologien bis an die Grenze des Machbaren zu entwickeln. Denn wir sind ein zentraler Enabler dieses Wandels.

Innovationen entstehen bei uns auf vielen Ebenen. Eine zentrale Rolle spielt dabei unser Bereich Forschung und Entwicklung (Research & Development). Die interdisziplinären Teams entwickeln neue Anlagen, Technologien und Prozesse und bedienen sich dafür neuesten Werkzeugen und Methoden wie Strukturanalysen, Strömungsmechanik, dynamische Simulationen oder Virtual und Augmented Reality. Sie arbeiten dabei auch eng mit Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zusammen.

Dass Innovationen immer auch Investitionen voraussetzen, versteht sich dabei von selbst: Allein im vergangenen Jahr flossen mehr als 129 Millionen Euro in den Bereich Forschung und Entwicklung. Der 2023 gegründete Innovation Hub hebt unsere Forschungsarbeit nochmals auf ein neues Level. Das klare Ziel dabei: Innovationen schnell zur Marktreife bringen, um die Dekarbonisierung der Metallindustrie entscheidend voranzutreiben.

Wer Innovationen hervorbringen möchte, braucht eine weitere Eigenschaft: Mut. Der Bau der CSP®-Versuchsanlage war 1985 ein erhebliches finanzielles Risiko. Das ist heute nicht anders. Als im März 2023 der Grundstein für die Batterie-Recycling-Fabrik von Mercedes-Benz gelegt wird, ist das der erste große Auftrag für unser Joint Venture Primobius. Die Entwicklung der Technologie wäre nicht möglich gewesen, ohne die Tests in der Pilotanlage in Hilchenbach.

Was sind die nächsten großen Innovationen? Wir glauben es ist der EASyMelt. Der elektrisch unterstützte und mit Synthesegas betriebene Schmelzofen stellt eine Alternative zur Direktreduktionsroute dar und soll die Dekarbonisierung von bestehenden integrierten Stahlwerken beschleunigen. Im 2023 unterzeichneten wir mit Tata Steel eine Absichtserklärung, die innovative EASyMelt-Technologie in einen Hochofen in Indien zu implementieren. Gut möglich, dass die nächste revolutionäre Technologie in Jahmshedpur in Indien das Licht der Welt erblickt.